Story 3: Wir haben einen Vogel

Anzeigen bringen Erfolg: Dies ist nicht nur einfach ein Slogan, mit dem Zeitungen um Inserenten werben. Nein, es ist die nackte Wahrheit. Davon weiß ich spätestens seit dem Tag ein Lied zu singen, an dem unser Wellensittich "Kucki" seinen Käfig fristlos aufkündigte, zum Entsetzen meiner mir angetrauten Ehefrau ebenso kurzentschlossen durch die Tür hinausflog und sich aufmachte, die Welt zu entdecken.

Es geschah an einem der wenigen warmen Junitage. Plötzlich sauste das Tier in dem Moment, als die Käfigtüre zum Reinigen der Behausung geöffnet wurde, am Kopf meiner Gattin vorbei und flog von dannen. Was tun? "Du muss sofort eine Zeitungsannonce aufgeben!", ordnete mein Weib an. Ich (ganz Materialist) merkte kurz an, dass die Kosten für ein Inserat den Wiederbeschaffungswert eines Vogels wahrscheinlich bei weitem übersteigen würde, tat aber (nach einem vernichtenden Blick meiner Holden) wie befohlen. Also ließ ich in regelmäßigen Abständen im BBV abdrucken: "Graublauer Wellensittich im Löverick entflogen. Wiederbringer erhält Belohnung."

Von diesem Moment an gehörten wir zu den Lieblings-Kunden der Telekom. Ständig klingelte unser Telefon - gerade so, als gebe es in der Stadt mehr freifliegende Wellensittiche als Spatzen. Die meisten Gespräche endeten mit einer herben Enttäuschung. Entweder war der Wellensittich zu grün, zu alt oder schlicht zu weiblich. "Ich habe ihr Tier. Ganz sicher!", meldete sich schließlich ein Mann, der einen Vogel in seinem Garten gefangen hatte, "er passt genau auf Ihre Beschreibung." Meine Frau hakte nach: "Ist es auch wirklich ein blaugraues Männchen"? Nun ja, gestand der Anrufer ein, eigentlich sei es ja eher ein Kanarienvogel, der gelb und zu allem Überfluss auch noch in der Mauser sei. Dafür aber sei das Tier sofort und kostenlos zu haben. Meine Frau (in Familienkreisen auch schon mal die "Mutter Theresa schutzbedürftiger Kleintiere" genannt) bekam so einen seltsamen Glanz in die Augen. "Soll ich?" schienen ihre Blicke zu fragen. Ich blieb hart. "Kommt gar nicht in Frage!"

Doch am nächsten Morgen war jeder Widerstand zwecklos. Ein älteres Ehepaar hatte sich vom anderen Ende Bocholts gemeldet und von einem grellblauen (dafür aber überhaupt nicht grauen) Wellensittich berichtet, der sich - einmal gefangen - vor Schwäche kaum noch auf der Stange halten konnte. Bruchteile von Sekunden später raste ein unfrisiertes Etwas an mir vorbei. Eine Stunde später kam meine Frau zurück - zwar ohne Kucki, dafür aber mit einem mir gänzlich fremden Vogel. "Was sollte ich machen? Die Leute wussten nicht, wohin damit. Sie hatten ja nicht einmal einen Käfig." Ich ließ sie gewähren und sagte auch nichts, als ich dieses Argument in den darauffolgenden Wochen noch einige Male öfter zu hören bekam. Zwar blieb Kucki weiterhin spurlos verschwunden. Doch die Gastlichkeit unseres Hauses schien sich in seinen Kreisen herumgesprochen zu haben. So wunderte es mich nicht mehr, dass ein Sittich gar nicht erst den Umweg über eine fremden Garten nahm, sondern zielstrebig direkt unser Domizil ansteuerte.

Als ich jedoch eines schönen Tages meine Freizeit damit verbringen sollte, eine Voliere für die inzwischen auf stattliche Größe angewachsene Zahl unserer gefiederten Freunde zu bauen, um durch eine Auslagerung die eigenen vier Wände endlich wieder bewohnbar zu machen, regte sich leiser Widerstand. Der wurde noch dadurch verstärkt, dass sich zu den Dauermietern längst einige Feriengäste aus der Nachbarschaft gesellt hatten und mein Rücken - arg gebeutelt vom Schleppen der Futtersäcke (in Zentnern kauft's sich billiger) - nicht mehr mitspielte.

Inzwischen hatten wir Bocholt und die gesamte Umgebung auf unseren Streifzügen von Vogel-Anbieter zu Wellensittich-Fänger gründlich kennen gelernt. Selbst Rhede, Anholt und Dingden sowie Teile des benachbarten Auslandes wurden - nach entsprechenden Hinweisen aus der Bevölkerung - auf der Suche nach unserem Kucki durchstreift. Doch vergebens. Manchmal erwischen uns Freunde heute noch dabei, wie wir beim kleinsten Zirpen minutenlang gen Himmel starren und lockende Laute ausstoßen. "Sagt mal", fragen sie dann ," habt Ihr eigentlich einen Vogel?" Einen? - Dutzende!

eingesandt von Berthold Blesenkemper
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